Mittwoch, 17. August 2016




Bedenkliche Tendenzen in der
Berufsbildung - Teil 2

von Dieter Basener 

Seit geraumer Zeit gibt es in der Werkstattlandschaft Unstimmigkeiten um die Ausrichtung des Berufsbildungsbereichs. Entzündet hat sich dies an der Absicht der BAG WfbM, die berufliche Bildung in der WfbM durchgängig an Berufsbildern der Wirtschaft zu orientieren und deren Bildungspläne zu adaptieren. Für den letzten Newsletter der Europa-Akademie habe ich dazu einen Beitrag mit der Überschrift „Bedenkliche Tendenzen in der Berufsbildung der WfbM“ verfasst und diese Absicht als zu eng, zu formal und zu wenig an den Bedürfnissen der BBB-Teilnehmer ausgerichtet kritisiert.Der Beitrag fand große Resonanz und micherreichten zustimmende und ablehnende Äußerungen. Bei den Argumenten der Verfechter der BAG-Position wurde noch einmal deutlich, dass deren Bemühungen vor allem politisch motiviert sind: Es ginge darum, den Werkstätten ihren Platz im deutschen Bildungssystem zu verschaffen. Sie müssten mit Kammern und Innungen auf Augenhöhe verhandeln können und als Bildungsakteure wahrgenommen werden. Dazu müssten sie sich an der Normalität ausrichten. Die Standards der Regelausbildung müssten erfüllt werden, die Inhalte nachvollziehbar und vergleichbar sein. Der Sonderweg müsse überwunden werden: „Raus aus der Sonderwelt“ bedeute auch, Schluss zu machen mit erfundenen Berufsbildern wie Alltagshelfer etc.

Die von mir eingeforderte Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im BBB, etwa Regelverständnis, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Konfliktbewältigung oder Teamarbeit, fand bei den Kritikern wenig Beifall: Übergreifende Arbeitsfähigkeiten zum Inhalt beruflicher Bildung zu machen, sei ein Rückfall in bildungspolitische Vorstellungen der 70er Jahre, wurde mir vorgehalten. Damals hätte für den größten Teil der Werkstattbeschäftigten lediglich eine praktische Bildung als erreichbar gegolten. Heute ginge es den Werkstätten um Grundsätzliches: Um das generelle Recht behinderter Menschen auf Bildung. Sie hätten Anspruch auf persönliche Weiterentwicklung und auf den Erwerb von grundlegenden Kompetenzen, die lebenslang im Arbeitsprozess benötigt würden. Worin diese Kompetenzen bestehen können, blieb dabei offen. Ich vermute:In Fähigkeiten wie Regelverständnis, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Konfliktbewältigung oder Teamarbeit.

Ich bleibe dabei: Die berufliche Bildung in der Werkstatt darf sich nicht in erster Linie an politischen Überlegungen oder „übergeordneten Werkstattinteressen“ ausrichten. Der Maßstab muss der individuelle Bedarf der BBB-Teilnehmer sein, eine ihrer Situation angemessene Vorbereitung auf das Berufsleben. Und da ist die Qualifizierung auf ein spezielles Berufsfeld, möglichst mit Zertifikat, nur eine von vielen Varianten. Der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Behinderungen in der Werkstatt wird sie alleine nicht gerecht. Was benötigen die „Jungen Wilden“, die noch ohne Berufsreife in die Werkstatt kommen? Was benötigen Menschen mit hohem Hilfebedarf? Helfen harmonisierte Bildungsrahmenpläne denen, die noch auf der Suche nach einem geeigneten Berufsfeld sind, eventuell auch außerhalb der Werkstatt?

Und es stellt sich noch eine rein pragmatische Frage: Bilden die Angebote im BBB überhaupt die Berufsfelder einer Werkstatt ab? Die Ausrichtung an der Regelausbildung impliziert ja, dass jemand sich für ein Berufsfeld entscheidet, sich für diesen Beruf qualifiziert und anschließend darin auch arbeiten kann. Tatsache ist: Diese Möglichkeit hat er in den meisten Werkstätten gar nicht, dennder BBB bietet in der Regel nur eine begrenzte Auswahl von Qualifizierungsmöglichkeiten. Die Verantwortlichen rechtfertigen diese geringe Übereinstimmung zwischen den BBB-Inhalten und den Angeboten im Arbeitsbereich damit, dass es dabei um übertragbare Arbeitsfähigkeiten ginge und dassOffenheit und Flexibilität gerade eine Stärke der beruflichen Bildung in der Werkstatt sei. Dagegen ist nichts einzuwenden. Viele BBB-Teilnehmer wollen und können sich zu Beginn ihrer Werkstattzugehörigkeit noch gar nicht auf ein künftiges Arbeitsfeld festlegen. Definiert man den BBB aber als Ort der Berufsausbildungim engen Sinne, bedeutet das für die meisten BBB-Teilnehmer: Sie werden in einem Beruf ausgebildet, für den sie sich nicht entschieden haben und arbeiten anschließend in einem Beruf, für den sie nicht ausgebildet wurden.

Ein Vertreter der BAG räumte ein, dass das BBB-Konzept noch einmal auf seine „Personenorientierung“ überprüft werden müsse. Übersetzt heißt das wohl, man müsse schauen, ob das BAG-Konzept tatsächlich den unterschiedlichen Bedarfen der Werkstattbeschäftigten gerecht wird. Ein befreundeter Werkstattleiter hat daran offenbar ebenso wie ich seine Zweifel. Er schrieb mir folgende Mail, die ich zum Schluss in Gänze zitieren möchte:
„Du weist aus meiner Sicht zu Recht auf eine Fehlentwicklung hin, die die tatsächliche Realität in den Werkstätten und insbesondere die Bedürfnisse der Betroffenen verkennt. Die von Dir kritisierten Maßnahmen der Qualifizierung und Bildung haben meiner Meinung nach dann eine Berechtigung, wenn sie sehr individuell genutzt werden und vor allem dann, wenn sie als das genutzt werden, was sie meiner Meinung nach sind: Marketing-Instrumente, um sich im enger werdenden Markt zu positionieren. Das finde ich legitim. Das Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass die meisten Professionellen (zumindest die, die sich zu Wort melden) tatsächlich glauben, mit den Maßnahmen und der immer stärker werdenden Orientierung an der regulären Berufsbildung könnten für die Masse der Betroffenen nennenswerte Erfolge erreicht werden, z.B. im Hinblick auf Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt. Und die aufgrund dieser Fehleinschätzung unverhältnismäßig viel Ressourcen in deren Etablierung investieren, die dann wieder bei den individuellen und ganz unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung fehlen, insbesondere bei den besonders schwer Betroffenen, für die fast alle erwähnten Maßnahmen völlig irrelevant sind.“


Schreiben Sie uns Ihre Meinung!

Wie sehen Sie die Zukunft im Berufsbildungsbereich?






BTHG – Zukunft der Werkstätten?  Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) liegt vor

von Gerd Hoßbach

Es ist noch nicht „in Stein gemeißelt“, das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG).

Die Verbände hatten auf deutlich größere Mitsprachemöglichkeiten gehofft....

Die Zeitschiene zur Umsetzung erster Teile dieses neuen (großen) Gesetzes ist noch unklar.
Sicher ist – es wird kommen.

Das BTHG wird den gesetzlichen Rahmen, die Möglichkeiten und Grenzen der Werkstätten neu justieren!

Vor dem Hintergrund der UN-BRK und den in den letzten Jahren kontinuierlich steigenden Kosten der Eingliederungshilfe wurde dieses Gesetzeswerk entwickelt.
Es wird die Frage bleiben, wie und ob es geht, die Rechte und Möglichkeiten behinderter Menschen in unserem Land unter der Überschrift ‚Inklusion‘ zu stärken und andererseits anfallende Kosten zu reduzieren.

In der Vergangenheit sind solche Versuche in der Regel gescheitert und haben sich zum Nachteil der betroffenen Menschen in unserem Land entwickelt.
Die Pflege, die Altenhilfe und die medizinische Versorgung „lassen grüßen“....

Nun also der Versuch, die Eingliederungshilfe zu reformieren.
Die Zielrichtung des BTHG: Öffnung der Werkstätten, Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern, neue Angebotsstrukturen und anderes sind unbedingt zu bejahen.

Die Frage wird in Zukunft sein: Wie und durch welche Maßnahmen soll diese oben dargestellte Zielsetzung erreicht werden?

Wir hatten im Newsletter 02/16 den § 60 BTHG„….. andere Anbieter“ vorgestellt.
Heute stellen wir Ihnen den § 19 BTHG „Teilhabeplanung“ vor.



§ 19
Teilhabeplan

(1)               Soweit Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind, ist der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger dafür verantwortlich, dass er und die nach § 15 beteiligten Rehabilitationsträger im Benehmen miteinander und in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen feststellen und schriftlich so zusammen stellen, dass sie nahtlos ineinander greifen.
(2)               Der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger erstellt in den Fällen nach Absatz 1 einen Teilhabeplan innerhalb der für die Entscheidung und über den Antrag maßgeblichen Frist. Der Teilhabeplan dokumentiert


1.      den Tag des Antragseingangs beim leistenden Rehabilitationsträger und das Ergebnis der Zuständigkeitsklärung und Beteiligung nach den §§ 14 und 15,
2.      die Feststellungen über den individuellen Rehabilitationsbedarf auf Grundlage der Bedarfsermittlung nach § 13,
3.      die zur individuellen Bedarfsermittlung nach § 13 eingesetzten Instrumente,
4.      die gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit nach [ § 54 ],
5.      die Einbeziehung von Diensten und Einrichtungen bei der Leistungserbringung,
6.      erreichbare und überprüfbare Teilhabeziele und deren Fortschreibung,
7.      die Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts nach § 8, insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen von Leistungen durch ein Persönliches Budget,
8.      die Dokumentation der einvernehmlichen, umfassenden und trägerübergreifenden Feststellung des Rehabilitationsbedarfes in den Fällen nach § 15, Abs. 3, Satz 2,
9.      die Ergebnisse der Teilhabeplankonferenz nach § 20
10.  die Erkenntnisse aus den Mitteilungen der nach § 22 einbezogenen anderen öffentlichen Stellen und
11.  die besonderen Belange pflegender Angehöriger bei der Erbringung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation


(3)               ….dabei sichert der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger durchgehend das Verfahren….




Die Stärkung in der Steuerung und im Controlling der Reha-Träger steht eindeutig im Mittelpunkt dieser gesetzlichen Regelung.
Mit ca. 500 neu zu schaffenden Personalstellen (so ist es geplant) soll dieser erhöhte Bedarf bei den Reha-Trägern „gedeckt“ werden.
Die Rolle der Einrichtungsträger (u.a. der Werkstätten) wird im zukünftigen Verfahren die des Dienstleisters sein....

Das ist durchaus nachvollziehbar und konsequent vom Gesetzgeber hergedacht – in Anbetracht von den oben aufgeführten zusätzlichen Planstellen bei den Reha-Trägern muss allerdings bei 295 Landkreisen in unserem Lande die Frage der personellen Ausstattung dieser neuen sozialrechtlichen Aufgabenstellung kritisch betrachtet werden oder man geht von derzeit großen freien personellen Ressourcen auf Seiten der Rehabilitationsträger aus.

Auch wenn, wie in § 32 „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“ ein weiteres neues „Beratungsinstrument“ mit ebenfalls 500 bis 600 zusätzlichen Personalstellen geplant ist.…

Fragen über Fragen….


Uns interessiert Ihre Meinung!