Bedenkliche Tendenzen in der
Berufsbildung - Teil 2
von Dieter Basener
Seit
geraumer Zeit gibt es in der Werkstattlandschaft Unstimmigkeiten um die
Ausrichtung des Berufsbildungsbereichs. Entzündet hat sich dies an der Absicht
der BAG WfbM, die berufliche Bildung in der WfbM durchgängig an Berufsbildern
der Wirtschaft zu orientieren und deren Bildungspläne zu adaptieren. Für den
letzten Newsletter der Europa-Akademie habe ich dazu einen Beitrag mit der
Überschrift „Bedenkliche Tendenzen in der Berufsbildung der WfbM“ verfasst und
diese Absicht als zu eng, zu formal und zu wenig an den Bedürfnissen der
BBB-Teilnehmer ausgerichtet kritisiert.Der Beitrag fand große Resonanz und micherreichten
zustimmende und ablehnende Äußerungen. Bei den Argumenten der Verfechter der
BAG-Position wurde noch einmal deutlich, dass deren Bemühungen vor allem
politisch motiviert sind: Es ginge darum, den Werkstätten ihren Platz im
deutschen Bildungssystem zu verschaffen. Sie müssten mit Kammern und Innungen
auf Augenhöhe verhandeln können und als Bildungsakteure wahrgenommen werden.
Dazu müssten sie sich an der Normalität ausrichten. Die Standards der
Regelausbildung müssten erfüllt werden, die Inhalte nachvollziehbar und
vergleichbar sein. Der Sonderweg müsse überwunden werden: „Raus aus der
Sonderwelt“ bedeute auch, Schluss zu machen mit erfundenen Berufsbildern wie
Alltagshelfer etc.
Die
von mir eingeforderte Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im BBB, etwa
Regelverständnis, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz,
Konfliktbewältigung oder Teamarbeit, fand bei den Kritikern wenig Beifall: Übergreifende
Arbeitsfähigkeiten zum Inhalt beruflicher Bildung zu machen, sei ein Rückfall
in bildungspolitische Vorstellungen der 70er Jahre, wurde mir vorgehalten.
Damals hätte für den größten Teil der Werkstattbeschäftigten lediglich eine
praktische Bildung als erreichbar gegolten. Heute ginge es den Werkstätten um
Grundsätzliches: Um das generelle Recht behinderter Menschen auf Bildung. Sie
hätten Anspruch auf persönliche Weiterentwicklung und auf den Erwerb von
grundlegenden Kompetenzen, die lebenslang im Arbeitsprozess benötigt würden.
Worin diese Kompetenzen bestehen können, blieb dabei offen. Ich vermute:In
Fähigkeiten wie Regelverständnis, Kommunikationsfähigkeit,
Frustrationstoleranz, Konfliktbewältigung oder Teamarbeit.
Ich
bleibe dabei: Die berufliche Bildung in der Werkstatt darf sich nicht in erster
Linie an politischen Überlegungen oder „übergeordneten Werkstattinteressen“ ausrichten.
Der Maßstab muss der individuelle Bedarf der BBB-Teilnehmer sein, eine ihrer
Situation angemessene Vorbereitung auf das Berufsleben. Und da ist die
Qualifizierung auf ein spezielles Berufsfeld, möglichst mit Zertifikat, nur eine
von vielen Varianten. Der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Behinderungen in
der Werkstatt wird sie alleine nicht gerecht. Was benötigen die „Jungen
Wilden“, die noch ohne Berufsreife in die Werkstatt kommen? Was benötigen
Menschen mit hohem Hilfebedarf? Helfen harmonisierte Bildungsrahmenpläne denen,
die noch auf der Suche nach einem geeigneten Berufsfeld sind, eventuell auch
außerhalb der Werkstatt?
Und
es stellt sich noch eine rein pragmatische Frage: Bilden die Angebote im BBB überhaupt
die Berufsfelder einer Werkstatt ab? Die Ausrichtung an der Regelausbildung
impliziert ja, dass jemand sich für ein Berufsfeld entscheidet, sich für diesen
Beruf qualifiziert und anschließend darin auch arbeiten kann. Tatsache ist:
Diese Möglichkeit hat er in den meisten Werkstätten gar nicht, dennder BBB
bietet in der Regel nur eine begrenzte Auswahl von Qualifizierungsmöglichkeiten.
Die Verantwortlichen rechtfertigen diese geringe Übereinstimmung zwischen den
BBB-Inhalten und den Angeboten im Arbeitsbereich damit, dass es dabei um übertragbare Arbeitsfähigkeiten ginge
und dassOffenheit und Flexibilität gerade eine Stärke der beruflichen Bildung
in der Werkstatt sei. Dagegen ist nichts einzuwenden. Viele BBB-Teilnehmer wollen
und können sich zu Beginn ihrer Werkstattzugehörigkeit noch gar nicht auf ein
künftiges Arbeitsfeld festlegen. Definiert man den BBB aber als Ort der
Berufsausbildungim engen Sinne, bedeutet das für die meisten BBB-Teilnehmer:
Sie werden in einem Beruf ausgebildet, für den sie sich nicht entschieden haben
und arbeiten anschließend in einem Beruf, für den sie nicht ausgebildet wurden.
Ein
Vertreter der BAG räumte ein, dass das BBB-Konzept noch einmal auf seine
„Personenorientierung“ überprüft werden müsse. Übersetzt heißt das wohl, man
müsse schauen, ob das BAG-Konzept tatsächlich den unterschiedlichen Bedarfen
der Werkstattbeschäftigten gerecht wird. Ein befreundeter Werkstattleiter hat
daran offenbar ebenso wie ich seine Zweifel. Er schrieb mir folgende Mail, die
ich zum Schluss in Gänze zitieren möchte:
„Du weist
aus meiner Sicht zu Recht auf eine Fehlentwicklung hin, die die tatsächliche
Realität in den Werkstätten und insbesondere die Bedürfnisse der Betroffenen
verkennt. Die von Dir kritisierten Maßnahmen der Qualifizierung und Bildung
haben meiner Meinung nach dann eine Berechtigung, wenn sie sehr individuell
genutzt werden und vor allem dann, wenn sie als das genutzt werden, was sie
meiner Meinung nach sind: Marketing-Instrumente, um sich im enger werdenden
Markt zu positionieren. Das finde ich legitim. Das Problem besteht meiner
Meinung nach darin, dass die meisten Professionellen (zumindest die, die sich
zu Wort melden) tatsächlich glauben, mit den Maßnahmen und der immer stärker
werdenden Orientierung an der regulären Berufsbildung könnten für die Masse der
Betroffenen nennenswerte Erfolge erreicht werden, z.B. im Hinblick auf
Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt. Und die aufgrund dieser
Fehleinschätzung unverhältnismäßig viel Ressourcen in deren Etablierung
investieren, die dann wieder bei den individuellen und ganz unterschiedlichen
Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung fehlen, insbesondere bei den
besonders schwer Betroffenen, für die fast alle erwähnten Maßnahmen völlig
irrelevant sind.“
Schreiben Sie uns Ihre Meinung!
Wie
sehen Sie die Zukunft im Berufsbildungsbereich?
4 Kommentare:
Wo sind denn die Kommentare zu Dieter Baseners Meinung��
Moin Wilfried! Ich finde Herr Basener weißt auf einige Widersprüchlichkeiten hin und stellt berechtigte Fragen! Gruß in die Hansestadt!
Gerade lese ich den Beitrag zum Berufsbildungsbereich.
Aus Sicht von uns Interessenvertretern braucht die berufliche Bildung einen weiten Horizont und ein großes Erfahrungsfeld.
Dabei gibt es schon im Vorfeld des BBB erhebliche Schwächen.
In den 3 Schuljahren, die der beruflichen Vorbereitung dienen sollen, passiert bei uns hier in Oberbayern zu wenig:
• Praktika nur in den WfbMs in der Region.
• Keine Praktika in regulären Betrieben.
• Keine regelmäßige Erkundung der Umgebung zu Fuß bzw. mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
• Keine Kenntnis von öffentlichen Einrichtungen aus dem Verwaltungs- und Kulturbereich.
• Kaum Kenntnis von handwerklichen, hauswirtschaftlichen und verwaltenden Tätigkeiten.
• Keine Animation zur Entwicklung von Selbständigkeit und von Ver-Antwortung (!).
Das alles muss die örtliche WfbM bringen, wenn die Leute in den Bereich der beruflichen Bildung kommen. Da ist ein breites Bildungsspektrum unabdingbar und darf nicht auf die aktuellen Erfordernisse der Wirtschaft angepasst werden.
Diesen Kommentar schrieb uns ein Vater eines Sohnes mit einer geistigen Behinderung
Vielen Dank für Ihre beiden Artikel zu dem Thema, ich teile Ihre Meinung zu 100% !!
Ein Mitarbeiter aus dem Berufsbildungsbereich in NRW
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